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Cassandra Ellis hebt „Shabby Chic“ in diesem Apartment auf ein neues Level – mit Antiquitäten, wiederverwerteten Materialien und leicht müden Farben.
Der Londoner Immobilienmarkt ist das, was man einen Seller’s Market nennt: Hohe Nachfrage trifft auf eingeschränktes Angebot, deshalb gehen Wohnungen weg wie warme Semmeln. Doch bei diesem Apartment in Battersea war es anders. Bleischwer lag es ganz unten im Maklerportfolio, zwei Jahre lang interessierte sich absolut niemand dafür. Cassandra Ellis erinnert sich noch gut, warum: „Der Vorbesitzer hatte daraus offenbar eine Art Cottage in der Stadt machen wollen, aber das ging ziemlich daneben. Ich glaube, wir haben vor dem Umbau zwölf Container Müll hier herausgeschafft.“
Die Küche ist so geräumig, dass sie auch als Esszimmer dient. Der Tisch mit dem aufgemalten Tigerfell-Muster ist eine Antiquität und stammt aus Belgien, die Stühle sind dänisches Vintage-Design der 1960er-Jahre.
Christopher Horwood
Die Wohnung hatte zwar Blümchentapeten – aber auch Panoramablick
Nachdem sie all die Blümchentapeten abgekratzt und die Fake-Kiefernholzpaneele entfernt hatten, sah Ellis’ Mann Ed Prichard schon etwas klarer, was seine Frau gemeint hatte, als sie sagte, diese Wohnung habe Potenzial. Hohe Räume, viel Tageslicht, am Eingang gab es sogar ein Oberlicht und bei gutem Wetter einen grandiose Panoramablick über die Themse auf London, von Chelsea Harbour im Westen bis zur City im Osten.
In den Bereich am Eingang stellte Ellis ein Sofa, einen Schrank und einen Coffeetable von Osvaldo Borsani aus den 1980er-Jahren. Nun ist die Nische ein zweites kleines Wohnzimmer. Die Wände strich sie mit dem Farbton „Tirzah“ aus ihrer Kollektion von Atelier Ellis.
Christopher Horwood
Seit das Gebäude in den Neunzigerjahren in Apartments umgewandelt wurde, heißt es „The Village“, und es hat schon einige Szene-prominente Bewohner:innen gesehen (die Interiordesigner:innen Kelly Hoppen und David Linley zum Beispiel), und etliche andere tragen adlige Namen. Erbaut wurde es 1891 als Schule für Jungen und Mädchen – die „Lavender Hill School“– in einem gemäßigten Industriestil mit Backsteinfassade, deshalb erscheinen die Räume noch heute so großzügig und hell.
Die platzsparend konstruierte Treppe führt in das „Mini-Apartment“ von Frankie, der Tochter von Ellis’ Mann Ed Prichard. Es liegt im Mezzanin-Geschoss der Wohnung.
Christopher Horwood
Cassandra Ellis plante den Grundriss selbst
Für die Umgestaltung engagierte Cassandra Ellis keine Architekt:in, sondern nahm sie selbst in die Hand. Bevor sie ihre Farb-Manufaktur Atelier Ellis gründete, hatte sie etliche Jahre als Bühnenbildnerin für verschiedene Fernsehanstalten gearbeitet, in Neuseeland, wo sie geboren wurde, und dann später auch in England. Sie wusste, dass sie sich auf ihre Fähigkeit verlassen konnte: räumlich zu denken.
Den Wänden im Wohnzimmer gab Ellis den beruhigenden grau-grün-beigen Farbton „Cass“, für den Fensterrahmen wählte sie „Aged Black“, beide von Atelier Ellis. Auch den Sessel und das Sofa entwarf die Hausherrin. Neben Farben sind alte Textilien ihr zweites Faible: Aus ihrer Sammlung kommen auch die Bezüge aus Leinen und Hanfstoff.
Christopher Horwood
Und sie nahm sich Zeit dafür. Neun Monate lang studierte sie jeden einzelnen der 185 Quadratmeter, entwarf Grundriss um Grundriss, bis sie sicher war, die geeignete Lösung gefunden zu haben. Ein separates „Mini-Apartment“ für Eds heranwachsende Tochter Frankie, und eine als Enfilade organisierte Abfolge von Zimmern für sie beide.
Noch einmal die Küche: Die Schränke aus Eiche entwarf Ellis, von ihr ist auch die Sitzbank am Fenster. Auch den Holzboden, ebenfalls aus Eiche, ließ sie neu verlegen.
Christopher Horwood
Der neue Look: Eichenholz und gemütliche Sofas
Aber als Erstes musste sie die Zeit zurückdrehen. Der Vorbesitzer hatte alle historischen Architekturelemente entfernen lassen. Also stöberte Ellis in Chelsea einen viktorianischen Kamin auf, ließ am Boden lange, breite Holzbohlen von englischen Eichen verlegen. Einen langen Flur machte sie mit einem bis zur Decke reichenden Bücherregal zur Bibliothek, den Raum am Eingang richtete sie mit Schrank, Coffeetable und Sofa so ein, dass er jetzt als zweites Wohnzimmer durchgeht.
Eine Sitzecke im Wohnzimmer, Leuchte von Isamu Noguchi, den Tisch kaufte Ellis bei Fontaine Decorative in Herefordshire. Stühle von Børge Mogensen aus den 1960er-Jahren.
Christopher Horwood
Zwei andere Sofas entwarf sie selber und ließ sie von einem Polsterer bauen. Sie sind groß genug, dass im Zweifelsfall zwei Menschen darauf schlafen können, falls, so Ellis, „Gäste einmal über Nacht bleiben möchten“ – in der Riesenstadt London mit ihren extraweiten, gerade nachts unüberwindlichen (oder monsterteuren) Wegen kommt das gar nicht so selten vor. Am Rest der Möbel erkennt man, was passiert, wenn man sich das Motto der Hausherrin zu eigen macht: „Buy what you like“.
„Schon oft war ich in Wohnungen, die ,overly decorated‘ waren“, sagt Cassandra Ellis. „Ich wollte, dass es hier entspannt aussieht – und es trotzdem viele Dinge gibt, die man gerne anschaut.“ Ein alter Tisch in einer Ecke, eine Tischleuchte aus Messing, manchmal braucht es nicht mehr als das, um sich wohlzufühlen.
Christopher Horwood
Shabby Chic heißt hier entspannte Vielfalt
Das Ergebnis ist eine moderne, raffinierte Form von Shabby Chic: Da steht in der geräumigen Küche ein extravaganter Esstisch, 18. Jahrhundert, Belgien. Er ist umgeben von Stühlen, die der dänische Designer Børge Mogensen in den 1960er-Jahren entwarf. Und alle, der Tisch mit seinem aufgemalten Tigerfell-Muster und die skandinavisch gerundeten, verschlankten „Model 122“-Chairs verstehen sich hervorragend. Es ist eine Einheit aus Vielheiten, die hier vorherrscht: Diversität aus dem richtigen Leben.
Für die Wände in Frankies Mini- Apartment suchten sie und Ellis die Farbe „Aged Black“ aus. Leuchte von Isamu Noguchi. Der Sessel ist aus den 1960ern, die Hausherrin fand ihn bei einem Londoner Antiquitätenhändler.
Christopher Horwood
Leidenschaft für Farben
Dass dieser Mischmasch einen Eindruck von Harmonie ergibt, liegt auch an den Farben, mit denen die Wände gestrichen sind. Sie kommen aus dem Sortiment von Ellis’ eigener Firma, Atelier Ellis (ihr Studio ist nur wenige Minuten entfernt in einer ehemaligen Wäscherei), und wenn man sie so nebeneinander in einer Wohnung wie dieser sieht, bemerkt man, dass sie eine ganz eigene Tonigkeit ausstrahlen: Es ist die Erde ihrer Heimat Neuseeland, ihre Farben und die Farben der Pflanzen, die dort – und nur dort – wachsen. Eine davon, ein schönes, sanftes, leicht rötlich-braunes Grün, hat sie „Totara“ genannt, nach einer Art der Steineibe, die nur auf der Nordinsel und dem nordöstlichen Teil der Südinsel Neuseelands existiert.
Das Schlafzimmer von Ellis und Prichard liegt – wie das kleine Apartment von Frankie – im Zwischengeschoss. Das Bett ist von MDF Italia.
Christopher Horwood
Zusammen mit ihrer zweiten Leidenschaft, dem Sammeln und Färben alter Stoffe, ist das die Basis dafür, einen Ort zu schaffen, der sich anfühlt wie eine übergroße warme, weiche Wolldecke, in die man sich hüllt, wenn es draußen im hektischen London an einem Abend im März noch kühl und feucht ist: beruhigend und ganz unglaublich gemütlich.
Die Decke auf Frankies Bett nähte die Designerin aus Stoffresten und färbte sie mit Indigo – das ist etwas, das sie leidenschaftlich gerne macht.
Christopher Horwood